Eine nachhaltige FTP-Steigerung ist kein Ergebnis von härterem, sondern von präziserem Training, das auf einer datengestützten Schwachstellenanalyse beruht.
- Die meisten Athleten stagnieren, weil sie den falschen physiologischen Limiter (z.B. aerobe Basis vs. anaerobe Kapazität) trainieren.
- Metriken wie CTL, ATL und Form sind keine bloßen Zahlen, sondern ein entscheidendes Diagnose-Tool zur Vermeidung von Überlastung und zur optimalen Reizsetzung.
Empfehlung: Nutzen Sie den FTP-Test nicht nur als Leistungs-Benchmark, sondern als Ausgangspunkt für eine tiefgehende Analyse Ihres einzigartigen Fahrerprofils.
Für jeden ambitionierten Radsportler in Deutschland ist die Functional Threshold Power (FTP) mehr als nur eine Zahl – sie ist die Währung der Leistung. Doch unzählige Athleten investieren Stunden auf der Rolle oder der Straße, folgen generischen Trainingsplänen und sehen auf ihrem Radcomputer dennoch nur minimale Fortschritte. Sie steigern das Volumen, erhöhen die Intensität, doch die erhoffte FTP-Steigerung bleibt aus und führt zu Frustration. Das Gefühl, an einem Plateau angekommen zu sein, ist weit verbreitet.
Die gängigen Ratschläge lauten oft „mehr Sweet-Spot-Intervalle“ oder „mehr Grundlage fahren“. Diese Ansätze ignorieren jedoch eine fundamentale Wahrheit des Performance-Trainings: Jeder Athlet ist einzigartig. Der wahre Hebel für eine signifikante und nachhaltige Leistungssteigerung liegt nicht darin, blind mehr oder härter zu trainieren. Er liegt in der präzisen Diagnose des individuellen, leistungslimitierenden Faktors. Was, wenn der Schlüssel nicht in einem weiteren VO2max-Block liegt, sondern in der gezielten Stärkung einer untrainierten aeroben Basis? Oder umgekehrt?
Dieser Artikel bricht mit dem Ansatz des „One-size-fits-all“-Trainings. Wir werden nicht einfach nur Trainingsmethoden auflisten. Stattdessen werden wir einen analytischen Prozess durchlaufen, der Ihnen als datenaffinem Athleten die Werkzeuge an die Hand gibt, um Ihr eigenes System zu verstehen. Sie lernen, Ihre Daten nicht nur zu sammeln, sondern sie als Performance-Analyst zu interpretieren – von der korrekten Durchführung eines FTP-Tests über die Identifikation Ihres persönlichen Limiters bis hin zur meisterhaften Steuerung Ihres Trainings über Metriken wie TSS, CTL und Form. Das Ziel ist es, vom reaktiven Abarbeiten eines Plans zur proaktiven, datengestützten Steuerung Ihrer eigenen Leistungsentwicklung zu gelangen.
Um Ihre Leistungssteigerung strukturiert und messbar zu gestalten, führt dieser Leitfaden Sie durch die zentralen Aspekte der datenbasierten Trainingsanalyse. Die folgende Übersicht zeigt die logischen Schritte von der Problemerkennung bis zur fortgeschrittenen Trainingssteuerung.
Inhaltsverzeichnis: Ihr Weg zur datenbasierten FTP-Steigerung
- Warum 60% der Fahrer am falschen Limiter trainieren und deshalb stagnieren?
- Wie Sie Ihren FTP zu Hause in 60 Minuten korrekt testen und Trainingszonen exakt berechnen?
- Mehr Volumen vs. höhere Intensität vs. bessere Erholung: Was bringt die schnellsten FTP-Zuwächse?
- Die Progressions-Realität: Warum nach 2 Jahren Training 5 Watt Gewinn schwerer sind als initial 20 Watt?
- Wann FTP neu testen: Alle 4 Wochen, nach jeder Trainingsphase oder bei gefühlter Verbesserung?
- Warum 60% der Fahrer am falschen Limiter trainieren und deshalb stagnieren?
- Wie Sie Ihren FTP zu Hause in 60 Minuten korrekt testen und Trainingszonen exakt berechnen?
- Wie Sie TSS, CTL, ATL und Form richtig lesen und daraus wöchentliche Trainings-Entscheidungen ableiten?
Warum 60% der Fahrer am falschen Limiter trainieren und deshalb stagnieren?
Der häufigste Grund für eine stagnierende FTP ist nicht mangelnder Trainingsfleiß, sondern ein falsch gesetzter Trainingsfokus. Viele Athleten trainieren ihre Stärken weiter, anstatt ihre tatsächliche Schwachstelle – den physiologischen Limiter – zu adressieren. Ein klassischer Sprintertyp mit hoher anaerober Kapazität, der endlos kurze, harte Intervalle fährt, wird seine Grundlagenausdauer kaum verbessern. Umgekehrt wird ein Diesel-Fahrer, der nur lange Einheiten in Zone 2 absolviert, seine Spitzenleistung für kurze Anstiege nicht steigern. Der erste Schritt zur messbaren Verbesserung ist daher eine ehrliche Limiter-Diagnose.
Man unterscheidet grob vier Phänotypen von Radfahrern: den Sprinter (hohe neuromuskuläre Leistung), den Puncheur/Klassikerjäger (hohe anaerobe Kapazität), den Zeitfahrer/Triathleten (hohe FTP und Ermüdungsresistenz) und den Kletterer (hohes Watt/kg-Verhältnis). Jeder dieser Typen hat ein anderes Stärken-Schwächen-Profil. Ein Top-Jedermann-Fahrer wie Robert Petzold, der bei seinem 24-Stunden-Weltrekord eine Schwelle von 330 Watt aufwies, hat ein anderes Profil als ein Sprinter, der kurzzeitig über 1500 Watt treten kann. Ohne das eigene Profil zu kennen, ist jedes Training ein Schuss ins Blaue.

Die visuelle Gegenüberstellung dieser Profile macht deutlich, dass es nicht den *einen* richtigen Weg gibt. Die entscheidende Frage lautet: Bin ich ein Fahrer, dem die aerobe Basis fehlt, um die hohe Intensität überhaupt über die Zeit zu bringen? Oder habe ich eine exzellente Basis, aber es fehlt die Fähigkeit, die entscheidenden VO2max-Reize zu setzen, um die Decke anzuheben? Die meisten pauschalen Trainingspläne ignorieren diese Differenzierung und führen deshalb bei vielen Athleten ins Leere.
Ihr 5-Schritte-Audit zur Identifikation des persönlichen Limiters
- FTP-Test durchführen: Etablieren Sie eine Baseline Ihrer aeroben Leistungsfähigkeit. Der FTP (Functional Threshold Power) ist der Goldstandard für die erste Einschätzung.
- Leistungsprofil erstellen: Führen Sie Maximalefforts über verschiedene Zeiträume durch (z.B. 15 Sekunden, 1 Minute, 5 Minuten und 20 Minuten), um Ihre Stärken und Schwächen im anaeroben und neuromuskulären Bereich zu identifizieren.
- Profil analysieren: Vergleichen Sie Ihre Leistungskurve mit typischen Profilen. Liegt Ihre Stärke bei kurzen, hohen Wattzahlen oder bei langer, gleichmäßiger Leistung?
- Trainingshistorie abgleichen: Analysieren Sie Ihre letzten Trainingsmonate. Worauf lag der Fokus? Oft trainiert man unbewusst das, was man bereits gut kann.
- Trainingsfokus definieren: Richten Sie Ihren nächsten Trainingsblock gezielt auf die identifizierte Schwäche aus, anstatt pauschal die FTP steigern zu wollen.
Wie Sie Ihren FTP zu Hause in 60 Minuten korrekt testen und Trainingszonen exakt berechnen?
Ein präziser FTP-Test ist das Fundament jeder datengesteuerten Trainingsplanung. Ohne eine verlässliche Baseline sind Ihre Trainingszonen ungenau und die gesetzten Reize entweder zu schwach oder zu stark. Die gute Nachricht: Sie benötigen kein teures Labor. Ein Powermeter an Ihrem Rad und ein Smart-Trainer oder eine ruhige, flache Strecke reichen aus, um einen validen Test durchzuführen. Der Schlüssel liegt nicht im Equipment, sondern in der Standardisierung des Protokolls. Jeder Test muss unter möglichst identischen Bedingungen stattfinden (Tageszeit, Ernährung, Vorbelastung), um vergleichbare Ergebnisse zu liefern.
Für das Heimtraining haben sich zwei Protokolle etabliert: der klassische 20-Minuten-Test und der kürzere Ramp-Test. Beide haben ihre Berechtigung, eignen sich aber für unterschiedliche Fahrertypen und Erfahrungsstufen. Der 20-Minuten-Test erfordert ein sehr gutes Pacing-Gefühl und ist mental extrem fordernd, liefert aber für erfahrene Athleten oft präzisere Werte. Der Ramp-Test ist einfacher durchzuführen und weniger pacing-abhängig, kann aber bei Athleten mit sehr hoher anaerober Kapazität die FTP leicht überschätzen.
Die folgende Tabelle, basierend auf aktuellen Analysen von Testprotokollen, vergleicht die beiden gängigsten Methoden:
| Testprotokoll | Dauer | Genauigkeit | Eignung |
|---|---|---|---|
| 20-Minuten-Test | 55-60 Min gesamt | FTP aus 20-Min-Leistung x 0,95 hochgerechnet | Erfahrene Fahrer |
| Ramp-Test | 15-25 Min | 75% der letzten Stufe; weniger genau durch anaerobe Anteile | Anfänger, Zeitknappe |
Unabhängig vom gewählten Protokoll ist die korrekte Berechnung der Trainingszonen der nächste entscheidende Schritt. Diese Zonen, typischerweise 5 bis 7 an der Zahl, basieren auf Prozentsätzen Ihrer FTP und definieren die exakte Intensität für jede Trainingseinheit – von der aktiven Erholung (Zone 1) bis hin zu anaeroben Intervallen (Zone 6+). Nur so stellen Sie sicher, dass eine „Grundlageneinheit“ auch wirklich im aeroben Bereich stattfindet und ein „Schwellenintervall“ den richtigen Reiz zur Anhebung der FTP setzt.
Mehr Volumen vs. höhere Intensität vs. bessere Erholung: Was bringt die schnellsten FTP-Zuwächse?
Sobald der Limiter identifiziert ist, stellt sich die strategische Frage: An welchem Hebel setze ich an? Die drei Hauptstellschrauben sind Trainingsvolumen (mehr Stunden), Intensität (härtere Intervalle) und Erholung (bessere Adaptation). Die Antwort ist keine Entweder-Oder-Entscheidung, sondern eine Frage der richtigen Gewichtung, die direkt von Ihrer Limiter-Diagnose abhängt. Ein polarisiertes Trainingsmodell, das den Großteil des Trainings (ca. 80%) im niedrig-intensiven Bereich (Zone 2) ansiedelt und gezielte, hoch-intensive Einheiten (ca. 20%) einstreut, hat sich als äußerst effektiv erwiesen.
Wenn Ihre Schwäche die aerobe Basis ist (z.B. wenn Sie bei langen Anstiegen schnell an Leistung verlieren), ist eine Erhöhung des Volumens in Zone 2 der primäre Hebel. Lange, ruhige Fahrten verbessern die mitochondriale Dichte und die Fähigkeit des Körpers, Fett als Energiequelle zu nutzen. Wenn hingegen Ihre VO2max der Limiter ist (z.B. wenn Sie bei kurzen, harten Attacken nicht mitgehen können), sind gezielte, hoch-intensive Intervalle (HIIT) bei 106-120% der FTP der Schlüssel. Diese Einheiten sollten jedoch sparsam eingesetzt werden, da sie eine hohe Belastung für das Nervensystem darstellen. Die Erholung ist dabei keine passive Komponente, sondern der entscheidende Faktor, der die Adaptation überhaupt erst ermöglicht. Ohne ausreichende Erholung führt auch der beste Trainingsreiz nur zur Überlastung.

Die Kunst besteht darin, diese drei Elemente in eine harmonische Balance zu bringen. Ein Trainingsblock könnte beispielsweise den Fokus auf Volumen legen, während der nächste die Intensitätsschraube anzieht. Die Erholung, überwacht durch Metriken wie Herzfrequenzvariabilität (HRV) oder die TSB (siehe letzte Sektion), diktiert das Timing und die Abfolge dieser Blöcke. Es geht darum, einen Reiz zu setzen, dem Körper Zeit zur Anpassung zu geben und dann den nächsten, gezielten Reiz zu setzen.
Die Progressions-Realität: Warum nach 2 Jahren Training 5 Watt Gewinn schwerer sind als initial 20 Watt?
Zu Beginn eines strukturierten Trainings sind die Fortschritte oft spektakulär. Einsteiger und leicht Fortgeschrittene können enorme Sprünge machen. Es gibt laut Erfahrungsberichten strukturiert trainierender Athleten bis zu 60 Watt FTP-Steigerung in 3 Monaten, wenn von einer niedrigen Basis gestartet wird. Diese anfänglichen „Anfänger-Gewinne“ sind das Ergebnis von schnellen neuromuskulären Anpassungen und der Beseitigung grober Ineffizienzen. Der Körper reagiert auf fast jeden neuen Trainingsreiz mit einer positiven Adaptation. Dies führt oft zu der falschen Annahme, dass eine solche lineare Progression unendlich fortsetzbar ist.
Die Realität für einen Athleten, der bereits ein oder zwei Jahre strukturiert trainiert, sieht jedoch anders aus. Das Prinzip der „abnehmenden Erträge“ (diminishing returns) setzt ein. Je näher Sie Ihrem genetischen Potenzial kommen, desto mehr Arbeit ist für immer kleinere Zuwächse erforderlich. Eine Steigerung von 5 Watt kann für einen erfahrenen Athleten das Ergebnis eines ganzen Wintertrainings sein und einen weitaus größeren Erfolg darstellen als die initialen 20 Watt. Diese Progressions-Realität zu akzeptieren, ist mental entscheidend, um motiviert zu bleiben.
Die Stagnation auf hohem Niveau ist oft ein Zeichen dafür, dass die bisherigen Methoden ausgereizt sind. Der Körper hat sich an die gewohnten Reize adaptiert und benötigt einen neuen, spezifischeren Anreiz. Hier wird die präzise Schwachstellenanalyse überlebenswichtig. Es reicht nicht mehr, „einfach nur Intervalle“ zu fahren. Man muss genau wissen, *welche* Art von Intervall die entscheidende physiologische Anpassung auslöst, die das nächste kleine Prozent an Leistung freisetzt. Das ist der Punkt, an dem das Training von einer groben zu einer feinen Justierung übergeht.
Die Lösung ist nicht ‚mehr vom Gleichen‘, sondern eine gezielte Variation, basierend auf der Schwachstellenanalyse.
– Philipp Diegner, Speed-Ville Coaching-Analyse
Dieser Wandel in der Herangehensweise ist der Sprung vom fortgeschrittenen Amateur zum strategisch denkenden Athleten. Man jagt nicht mehr den großen Sprüngen hinterher, sondern arbeitet akribisch an den kleinen Details, die in Summe den Unterschied ausmachen.
Wann FTP neu testen: Alle 4 Wochen, nach jeder Trainingsphase oder bei gefühlter Verbesserung?
Die Frage nach der optimalen Testfrequenz ist entscheidend für die Genauigkeit Ihrer Trainingssteuerung. Ein veralteter FTP-Wert führt zu falsch kalibrierten Trainingszonen. Trainieren Sie mit einem zu niedrigen Wert, setzen Sie keine ausreichenden Reize; trainieren Sie mit einem zu hohen, riskieren Sie Überlastung. Eine pauschale Regel wie „alle 4 Wochen“ ist oft zu starr und berücksichtigt nicht die individuelle Progression und die Phasen des Trainingsjahres.
Ein pragmatischer und in der Praxis bewährter Ansatz ist es, einen FTP-Test am Ende jedes abgeschlossenen Trainingsblocks (typischerweise 3-6 Wochen) durchzuführen. Dies markiert den Übergang von einer Phase zur nächsten (z.B. vom Grundlagenblock zum Aufbau-Block) und stellt sicher, dass die Intensitäten für die kommende Phase korrekt justiert sind. Ebenso empfehlen Experten einen Test nach jeder Trainingspause durchzuführen, sei es eine geplante Saisonpause oder eine ungeplante Unterbrechung durch Krankheit. Dies stellt sicher, dass Sie auf Basis Ihrer aktuellen, nicht Ihrer vergangenen Fitness trainieren.
Ein Test sollte niemals aus einer Ermüdung heraus stattfinden. Die Vorbereitung in den 48 Stunden vor dem Test ist ebenso wichtig wie das Protokoll selbst, um ein valides Ergebnis zu gewährleisten. Frische ist der Schlüssel zu einem aussagekräftigen Test. Ein schlechtes Testergebnis aufgrund von Restmüdigkeit führt zu falschen Trainingszonen und sabotiert die folgende Trainingsphase. Daher ist es unerlässlich, dem Test mit dem gleichen Respekt wie einem wichtigen Wettkampf zu begegnen.
Das folgende Protokoll fasst die wichtigsten Punkte für die unmittelbare Testvorbereitung zusammen:
Checkliste: Ihr 48-Stunden-Protokoll zur optimalen Testvorbereitung
- 48h vorher sicherstellen: Stellen Sie ausreichend Frische durch eine Ruhewoche oder das planmäßige Ende eines Trainingsblocks sicher.
- 24h vorher: Absolvieren Sie eine lockere Ausfahrt von maximal 60 Minuten ohne intensive Intervalle, um die Beine zu aktivieren.
- Am Testtag: Halten Sie sich an eine standardisierte Ernährung und führen Sie den Test zur gleichen Tageszeit wie frühere Tests durch, um die Vergleichbarkeit zu maximieren.
- Mentale Vorbereitung: Reduzieren Sie den Erwartungsdruck. Es ist nur ein Datenpunkt. Kleben Sie das Display während des 20-Minuten-Blocks ab, um sich voll auf die Anstrengung zu konzentrieren, nicht auf die Zahlen.
- Nach dem Test: Analysieren Sie das Ergebnis im Kontext. Ein leicht geringerer Wert nach einem harten Trainingsblock kann normal sein; wichtig ist der langfristige Trend.
Warum 60% der Fahrer am falschen Limiter trainieren und deshalb stagnieren?
Die Stagnation vieler Radsportler lässt sich oft auf ein grundlegendes Missverständnis zurückführen: Sie trainieren generisch, anstatt ihr Training auf ihr individuelles physiologisches Profil zuzuschneiden. Um den „falschen Limiter“ zu vermeiden, ist es unerlässlich, das eigene Fahrerprofil zu verstehen. Dieses Profil wird nicht allein durch die FTP bestimmt, sondern durch das Zusammenspiel der Leistungsfähigkeit über verschiedene Zeitdauern. Ein einfaches Modell zur Selbstdiagnose ist die Analyse Ihrer maximalen Durchschnittsleistung (MMP – Mean Maximal Power) über 1 Minute, 5 Minuten und 20 Minuten (bzw. 60 Minuten für die FTP).
Ein Athlet mit einer herausragenden 1-Minuten-Leistung im Vergleich zu seiner 20-Minuten-Leistung hat tendenziell ein anaerob dominantes Profil. Sein Limiter ist wahrscheinlich die aerobe Ausdauer. Sein Training sollte sich auf die Anhebung der FTP und die Ermüdungsresistenz konzentrieren, also mehr Sweet-Spot- und Schwellenintervalle sowie längere Grundlageneinheiten. Umgekehrt hat ein Athlet, dessen 1-Minuten-Leistung im Verhältnis zur FTP schwach ist, ein aerob dominantes Profil. Sein Limiter ist die anaerobe Kapazität oder „Spitzigkeit“. Er profitiert von kurzen, hochintensiven Intervallen (z.B. 30/30s oder 1-minütige VO2max-Intervalle), um die Decke seiner Leistungsfähigkeit anzuheben.
Die meisten Radsportler fallen irgendwo zwischen diese Extreme und sind Allrounder. Doch auch hier gibt es Tendenzen. Die ehrliche Antwort auf die Frage „Wo verliere ich im Rennen oder in der Gruppe den Anschluss?“ gibt oft den entscheidenden Hinweis: Bei langen, gleichmäßigen Anstiegen (aerobes Defizit) oder bei kurzen, harten Antritten (anaerobes Defizit)? Diese Selbstreflexion, kombiniert mit den Daten der Leistungskurve, ist der erste Schritt zur Limiter-Diagnose. Ohne diese Analyse ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man zu den 60% gehört, die wertvolle Trainingszeit in Bereiche investieren, die bereits gut ausgebildet sind, während die eigentliche Schwachstelle vernachlässigt wird.
Wie Sie Ihren FTP zu Hause in 60 Minuten korrekt testen und Trainingszonen exakt berechnen?
Nachdem Sie einen validen FTP-Wert ermittelt haben, beginnt die eigentliche Arbeit: die Umsetzung dieses Wertes in eine präzise Trainingssteuerung. Dies geschieht durch die Berechnung Ihrer individuellen Trainingszonen. Diese Zonen sind keine willkürlichen Bereiche, sondern repräsentieren spezifische physiologische Belastungsstufen, die unterschiedliche Anpassungen im Körper hervorrufen. Ein Training in der falschen Zone führt nicht zum gewünschten Ergebnis. Die gängigste Methode basiert auf dem Modell von Dr. Andrew Coggan und unterteilt die Leistung in 7 Zonen, die jeweils einem Prozentsatz der FTP entsprechen.
Nehmen wir als Beispiel einen Athleten mit einer neu ermittelten FTP von 280 Watt. Die Berechnung seiner Zonen sieht wie folgt aus:
- Zone 1 (Aktive Erholung): < 55% der FTP = < 154 Watt
- Zone 2 (Aerobe Ausdauer/Grundlage): 56-75% der FTP = 157-210 Watt
- Zone 3 (Tempo/Sweet-Spot-Untergrenze): 76-90% der FTP = 213-252 Watt
- Zone 4 (Laktatschwelle/FTP): 91-105% der FTP = 255-294 Watt
- Zone 5 (VO2max): 106-120% der FTP = 297-336 Watt
- Zone 6 (Anaerobe Kapazität): 121-150% der FTP = 339-420 Watt
- Zone 7 (Neuromuskuläre Leistung): > 150% der FTP = > 420 Watt
Mit dieser Aufschlüsselung wird das Training von einer gefühlten Anstrengung zu einer exakten Wissenschaft. Ein „Grundlagentraining“ bedeutet nun konkret, sich im Bereich von 157-210 Watt zu bewegen. Ein „Schwellenintervall“ findet präzise um den FTP-Wert herum statt, im Bereich von 255-294 Watt. Diese Präzision ist unerlässlich. Trainiert der Athlet seine Schwellenintervalle versehentlich bei 240 Watt (obere Zone 3), ist der Reiz zu schwach, um die Schwelle effektiv anzuheben. Trainiert er sie bei 310 Watt (untere Zone 5), kann er die Intervalldauer nicht halten und trainiert ein anderes System als beabsichtigt. Die exakte Berechnung und Einhaltung der Zonen ist daher kein optionales Detail, sondern der Kern der datengesteuerten Leistungssteigerung.
Das Wichtigste in Kürze
- Hören Sie auf, Ihre Stärken zu trainieren. Eine ehrliche, datenbasierte Diagnose Ihres leistungslimitierenden Faktors ist der entscheidende Hebel für Fortschritt.
- Ein standardisierter und regelmäßig durchgeführter FTP-Test ist keine Option, sondern die Pflicht für eine präzise Trainingssteuerung und die korrekte Kalibrierung Ihrer Trainingszonen.
- Die Metriken TSS, CTL, ATL und TSB sind Ihr Cockpit. Lernen Sie, diese zu interpretieren, um Übertraining zu vermeiden und Trainingsreize zum optimalen Zeitpunkt zu setzen.
Wie Sie TSS, CTL, ATL und Form richtig lesen und daraus wöchentliche Trainings-Entscheidungen ableiten?
Wenn der FTP-Test das Fundament ist, dann sind Metriken wie TSS, CTL, ATL und die Form (TSB) das Cockpit zur Steuerung Ihrer Trainingsbelastung. Diese Zahlen aus Ihrer Trainingssoftware (z.B. TrainingPeaks, Strava Premium, Golden Cheetah) zu ignorieren, bedeutet, im Blindflug zu navigieren. Der Training Stress Score (TSS) quantifiziert die Belastung einer einzelnen Einheit. Daraus leiten sich die entscheidenden Management-Metriken ab: Die Chronic Training Load (CTL) ist Ihr langfristiger Trainingsload (Fitness), ein gleitender Durchschnitt der letzten 42 Tage. Die Acute Training Load (ATL) ist Ihre kurzfristige Belastung (Ermüdung), der Durchschnitt der letzten 7 Tage. Die Form oder Training Stress Balance (TSB) ist die Differenz: TSB = CTL – ATL. Sie zeigt an, ob Sie ausgeruht, überlastet oder genau richtig für eine Top-Leistung sind.
Diese Metriken ermöglichen es, vom reaktiven „Ich fühle mich müde“ zum proaktiven Management überzugehen. Ein stetig steigender CTL-Wert ist gut, aber wenn der ATL den CTL zu stark übersteigt (TSB wird stark negativ, z.B. -20 bis -30), deutet das auf eine akute Überlastung hin und eine Regenerationswoche ist dringend anzuraten. Ein über Wochen positiver TSB-Wert (z.B. > +5) signalisiert Unterforderung – es ist Zeit für einen neuen, stärkeren Trainingsreiz. Für einen Wettkampf, wie zum Beispiel einen der anspruchsvollen Radmarathons in den deutschen Mittelgebirgen, wird eine positive Form von +15 bis +25 angepeilt, um maximal erholt und leistungsfähig am Start zu stehen.
Die folgende Matrix, basierend auf bewährten Diagnosemustern im Radsport-Coaching, dient als „Wenn-Dann-Anleitung“ für Ihre wöchentlichen Entscheidungen.
| Metrik-Situation | Bedeutung | Handlungsempfehlung |
|---|---|---|
| CTL steigt, FTP stagniert | Falscher Trainingsreiz | Zurück zur Schwachstellenanalyse |
| ATL > CTL + 20 | Akute Überlastung | Sofortige Reduktion/Pause |
| TSB > +25 für 2+ Wochen | Unterforderung | Trainingsreiz erhöhen |
| TSB zwischen +15 und +25 | Wettkampfbereit | Hohe Leistung über längere Zeiträume möglich – ideal für Wettkampf |
Die meisterhafte Anwendung dieser Metriken verwandelt Ihren Trainingsprozess. Sie können eine Saison rückwärts planen, indem Sie einen Ziel-CTL für Ihren Hauptwettkampf festlegen und die wöchentlichen TSS-Ziele darauf ausrichten. Sie erkennen ein drohendes Übertraining, bevor es Sie ausbremst, und können gezielt Regenerationsphasen einplanen. Das ist der Kern der datenbasierten Leistungssteuerung: Sie agieren, anstatt nur zu reagieren.
Beginnen Sie noch heute mit der Analyse Ihrer Daten, um Ihr Training nicht dem Zufall, sondern einem klaren, messbaren Plan zu überlassen. Die nächste Wattsteigerung wartet nicht in einem härteren Intervall, sondern in einer klügeren Analyse.